Nachhaltigkeit im Mainstream angekommen

Um es vorwegzunehmen: Die Entwicklung, die der Markt für Nachhaltiges Investment in seiner wenige Jahrzehnte alten Historie gemacht hat, ist atemberaubend und war in seinen Anfängen Ende des letzten Jahrtausends in dieser Form – nicht nur für mich – nicht absehbar.

Es ist noch nicht lange her, dass Investoren einen Bogen um soziale und umweltbezogene Informationen gemacht haben und ethisch-motivierte Anleger Klinken putzen mussten, um einen Asset Manager zu finden, der ihr Anliegen ernst nahm. Ich erinnere mich noch an Präsentationen vor Finanzmarktteilnehmern Ende der 90er-Jahre, die wenig mehr als mitleidige Reaktionen hervorbrachten: Nachhaltigkeitsratings als Geschäftsmodell überstieg die Vorstellungskraft der Anwesenden. Heute ist das Thema Mainstream:

Weltweit werden Assets mehrheitlich unter Berücksichtigung zumindest einzelner ESG-Aspekte gemanagt, und Nachhaltigkeit hat Einzug gehalten in die Risikomodelle der großen Asset Manager.

Eine ähnliche Entwicklung gab es bei den Unternehmen: Während man vor 25 Jahren selbst bei den großen börsennotierten Gesellschaften zumeist noch vergeblich nach Transparenz und Managementstrukturen in Sachen Nachhaltigkeit suchte und Firmen mit Umweltbeauftragtem schon als progressiv galten, geht es heute ums Kerngeschäft und um die Frage, ob das eigene Geschäftsmodell in zehn oder 15 Jahren bei sich dynamisch ändernden Rahmenbedingungen noch funktionieren wird. Plötzlich interessieren sich CFOs für ESG – vor wenigen Jahren noch undenkbar. 

Ist Nachhaltiges Investment eine Erfolgsgeschichte?

Nun sollte man nicht den Fehler begehen, sich ob dieser Entwicklung dem – insbesondere im Finanzmarkt – verbreiteten gegenseitigen Schulterklopfen unkritisch anzuschließen. Auch wenn dies angesichts der gigantischen Volumina, die mittlerweile nach Nachhaltigkeitskriterien investiert werden, gar nicht so leicht ist.

In diesem Zusammenhang lohnt aber ein kurzer Blick auf die ursprüngliche Intention derjenigen, die als Pioniere Nachhaltiges Investment vorangetrieben hatten: Nachhaltiges Investment sollte einen Beitrag zum ökologischen (später „nachhaltigen“) Umbau der Wirtschaft leisten. Übrigens ein Gedanke, der heute aktueller denn je ist: Denn die EU-Regulierung hat genau dies im Sinn – den enormen Hebel des Finanzmarktes zu nutzen, um Finanzströme systematisch und umfassend in nachhaltigere Geschäftsmodelle umzulenken und damit unsere weitreichenden ökologischen und sozialen Probleme in den Griff zu bekommen, die unseren Planeten an seine Grenzen und darüber hinausgeführt haben.

Ist Nachhaltiges Investment aus dieser Perspektive also eine Erfolgsgeschichte?

Lenkungswirkung entsteht

Es ist weitgehend unbestritten, dass immer mehr Nachhaltigkeitsfaktoren unmittelbar den wirtschaftlichen Erfolg und die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen beeinflussen: sei es durch klimawandelbedingte Dürren, Waldbrände und Überschwemmungen, die Lieferketten im Nahrungsmittelbereich unterbrechen, Disruptionen von Geschäftsfeldern im Energie- und Mobilitätssektor aufgrund von politischen Entscheidungen zur Bekämpfung der Erderwärmung oder die Missachtung von Menschenrechten in vielen Regionen dieser Welt, die Regulierungen wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zur Folge haben. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Daher ist es nur folgerichtig, dass immer mehr Investoren genau diese Aspekte bei ihren Anlageentscheidungen berücksichtigen, um Risiken zu minimieren bzw. aktiv Chancen zu ergreifen. Und diese Neuausrichtung der Definition finanzieller Risiken hat im Markt bereits eine gewisse Lenkungswirkung generiert. Denn Unternehmen, die diese Risiken ignorieren, werden sich mittel- und langfristig schwertun, Eigen- oder Fremdkapital zu für sie wirtschaftlichen Konditionen einzuwerben. Es entsteht also Handlungsdruck für die Wirtschaft.

Schulterklopfen deplatziert

Trotz dieser rasanten Entwicklungen kann ich aber eine gewisse Ungeduld meinerseits mit den Handelnden nicht verhehlen. Denn obwohl der Hebel des Finanzmarkts und die Durchdringung von ESG bei Investment-Entscheidungen per se groß sind, entwickeln sich die lebenserhaltenden Systeme unseres Planeten kontinuierlich in die falsche Richtung – weg von einer im Wortsinn nachhaltigen Entwicklung hin zu einer in zentralen Feldern sich selbstverstärkenden Negativentwicklung wie etwa in den Bereichen Klima, Artenvielfalt und Trinkwasser. Offensichtlich hat hier der Finanzmarkthebel bislang nicht oder nicht ausreichend gewirkt. Schlimmer noch: Ich sehe die Gefahr, dass wir aufgrund der kommunikativen Omnipräsenz des Nachhaltigkeitsthemas im Markt einer Fortschritts- und Wirkungsillusion unterliegen, die uns die Augen vor der Dringlichkeit der Probleme verschließen lässt.

Am Ende ist es ohne Alternative, eine globale Wirtschaft und Lebensweise zu schaffen, die mit den Ressourcen EINES Planeten auskommt – und nicht wie derzeit 1,8 Planeten benötigt. Das ist eine genauso schlichte wie existenzielle Erkenntnis. Um diesen Weg erfolgreich zu beschreiten, braucht es zunächst vor allem eines: eine neue Ehrlichkeit im Markt, weg vom vollmundigen „Wir-haben-alles-im-Griff“-Narrativ. Darüber hinaus braucht es substanziell mehr Wirkung: Investitionsentscheidungen müssen ganz unmittelbar und messbar dazu führen, dass Unternehmen, Infrastrukturprojekte oder Immobilienentwickler zu deutlich mehr Nachhaltigkeit motiviert – ja, gedrängt – werden.

Auch wenn es immer wieder Konstellationen geben wird, in denen opportunistische, kurzfristorientierte Investoren und Unternehmer auf Kosten der Allgemeinheit einen Profit aus Kohle, Öl oder anderen nicht-nachhaltigen Aktivitäten ziehen können, ist es doch so: Kaum jemand wird angesichts von Klimawandel & Co. widersprechen können, dass unser Handeln insgesamt „enkelgerecht“ werden muss. Was wir dazu unter anderem brauchen, ist ein Finanzmarkt, der Verantwortung übernimmt, einen reifen und mutigen Finanzmarkt, einen mit Veränderungswillen, der das Thema mit großer Ernsthaftigkeit vorantreibt – einen Finanzmarkt, der seine Nicht-so-genau-festlegen-wollen-Mentalität aufgibt und Zähne zeigt.

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